Interview mit Prof. Dr.-Ing. Ulrich Schäfer, Dekan und Leiter des Innovations- und Kompetenzzentrums Künstliche Intelligenz (IKKI), Fakultät Elektrotechnik, Medien und Informatik (EMI), Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden
Sehr geehrter Herr Dekan,
Können Sie uns das Projekt I4.0 ACE kurz vorstellen? Was sind die Hauptziele und welche Herausforderungen versucht das Projekt zu adressieren?
In der heutigen industriellen Produktion entstehen viele Daten, die erfasst, gespeichert und analysiert werden müssen. Dafür ist eine passende technische Infrastruktur notwendig, wobei Edge Computing eine wichtige Rolle spielt. An der OTH in Amberg werden in diesem Bereich die Weichen gestellt. Als Brücke zwischen Technologie und Anwendung fungiert das neue Industrie 4.0 Computing Edge Device: Es soll dabei helfen, mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (Machine Learning) Probleme in Fabriken frühzeitig zu erkennen, wie zum Beispiel Fehler in Maschinen, Wartungsbedarf oder sogar Sicherheitslücken. Ferner spielt Energiemanagement in Zeiten höher Energiekosten und zur Erreichung der Klimaschutzziele eine immer größere Rolle, die das I4.0 ACE ebenfalls adressiert. Um alle diese Ziele in einer vernetzten Produktion zu erreichen, fungiert es zudem als Schnittstelle für die Ankupplung der Steuerungstechnik (OT, Operational Technology) an die IT-Infrastruktur und -Prozesse im Unternehmen.
Welche Kooperationspartner sind beim Projekt involviert und welche Zielgruppen möchten Sie mit I4.0 ACE ansprechen?
Das An-Institut aia der OTH Amberg-Weiden, das Innovations- und Kompetenzzentrum für Künstliche Intelligenz (IKKI) der OTH Amberg-Weiden, das Laboratory for Safe and Secure Systems (LaS³) der OTH Regensburg und die Firma MSF-Vathauer Antriebstechnik.
Zielgruppe sind kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) im Bereich Automatisierung: kurze Wege zwischen Verarbeitungsanlagen und IT-Systemen bilden die Voraussetzung, um das Potenzial von Industrie 4.0-Technologien in kleinen und mittelständischen Unternehmen zu fördern. Die Nähe zur Fertigung ermöglicht eine zuverlässige Datenerhebung und lokale Verarbeitung, was in den spezifischen industriellen Umgebungen bei KMUs von entscheidender Bedeutung ist.
Anhand verfügbarer Schnittstellen zu benachbarten Systemen soll das I4.0 ACE Rohdaten sammeln und aufbereiten, um frühzeitige Veränderungen am Betriebsverhalten festzustellen und um den Energiebedarf zusammenhängender Anlagen zu analysieren. Durch den Einsatz von KI-Modellen werden verschiedene Indikatoren herangezogen, um zugeschnittene Wartungspläne, Anomalie-Erkennung und intelligentes Energiemanagement innerhalb der Fertigung zu realisieren.
Im Gegensatz zu Lösungen für die Großindustrie soll dieser Ansatz ohne großen Aufwand und Spezialwissen für spezifische Aufgaben geeignet sein. Durch eine innovative und portable Systemarchitektur entspricht das I4.0 ACE aktuellen Sicherheitsanforderungen und kann weiterführend als Integrationsplattform für unterschiedliche KI-gestützte Verfahren eingesetzt werden.
Flexible Anpassungen auf betriebliche Bedürfnisse sind möglich durch Software auf Linux-Basis und Docker-Container. Ferner wird im Rahmen des Projektes Verschlüsselung und Informationssicherheit explizit adressiert. Die Forscher und Entwickler hoffen, dass dieser technologische Ansatz bald auf andere Industriezweige übertragen werden kann.
Projektziel ist ein industrielles Computing Edge-Device, das in einer prototypischen Anwendung (AUT Smart Factory, der digitalen Modellfabrik im Digitalen Campus der OTH in Amberg) autonom Betriebsdaten erfasst, Vorhersagen zum Zustand der eingesetzten Aktoren macht und den Energieverbrauch der Versuchsanwendung optimiert.
Welche innovativen Technologien und Ansätze setzen Sie ein, um Unternehmen und Fachkräfte auf die Anforderungen von Industrie 4.0 vorzubereiten?
Hier ist in erster Linie das Thema datengetriebene Künstliche Intelligenz zu nennen. Durch maschinelle Lernverfahren wird Erkennung von Anomalien, also Fehlerfällen trainiert. So können zum Beispiel Anlagenteile automatisch gestoppt werden, bevor es zu Schäden kommt. Auch predictive maintenance basiert auf machine learning: Hier stellt das Projekt universelle Ansätze bereit, die für die jeweilige Anwendung trainiert werden müssen, also z.B. ob es sich um bestimmte Motoren, Getriebe oder ähnliche, oft mit mechanischen Einflussgrößen verbundene Geräte handelt. Die Idee bei predictive maintenance ist prinzipiell, Maschinen länger als in fixen, oft übervorsichtig gewählten Intervallen zu warten bzw. zu ersetzen, um Material, Energie und Kosten zu sparen. Gleichzeitig soll Verschleiß rechtzeitig erkannt werden und Wartung oder Ersatz vorausschauend automatisch angefordert werden.
Im weitesten Sinne ist auch intrusion detection, also das Erkennen von Angriffen auf die IT-Infrastruktur in der Produktion eine Form der Anomalieerkennung, für die das I4.0 ACE ebenfalls die grundlegende Infrastruktur bereitstellt.
Inwiefern beeinflussen Künstliche Intelligenz und Machine Learning die Automatisierungsprozesse in Ihrem Projekt?
Wie an den vorherigen Ausführungen bereits angedeutet, sind die Anwendungen Anomalieerkennung, predictive maintenance, intrusion detection und Energiemanagement auf Künstlicher Intelligenz in Form von maschinellem Lernen basiert. Das Projekt stellt hier eine technologische Basis zur Verfügung, die es auch KMU ermöglicht, mehr „Intelligenz" in die Automatisierungsprozesse einzufügen, und zwar weitgehend dezentral durch Edge Computing.
Welche bisherigen Erfolge oder Meilensteine können Sie hervorheben, und wie messen Sie den Fortschritt des Projekts?
Nach einem Jahr sind die technologischen Grundlagen gelegt: erste maschinelle Lernmodelle für die beschriebenen Anwendungen liegen vor. Die Erzeugung von Trainingsdaten, die Verschleiß und Anomalien realistisch abbilden, ist nicht trivial. Diese können nur prototypisch sein und müssen für andere Maschinen und Umgebungen neu- bzw. umtrainiert werden. Vor allem haben wir die Basis geschaffen: in Docker-Containern definierte Module, die von den jeweiligen Projektpartnern erstellt wurden, und die ohne großen Aufwand auf linuxbasierter Hardware eingesetzt werden können.
Welche neuen Automatisierungslösungen werden im Rahmen des Projekts eingeführt und wie tragen sie zur Effizienzsteigerung bei?
Das Ziel der I4.0 Automation Computing Edge ist, dezentral, d.h. möglichst in Nähe der Produktionseinheiten, KI-basierte Erkennung und Optimierung anzubieten. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber starren Automatisierungslösungen, die mehr menschlichen Eingriff erfordern. Letztlich ist unsere Lösung auch ein Weg, dem Fachkräftemangel durch intelligentere, dezentrale Lösungsansätze zu begegnen.
Welche Vorteile verspricht sich das Projekt von der Implementierung von Predictive Maintenance?
Durch predictive maintenance können einerseits Maschinen und Verschleißteile länger betrieben werden, als es starre Wartungs- und Ersatzintervalle festschreiben. Umgekehrt können aber auch Probleme, die vor Ablauf dieser Zeiten entstehen, im Idealfall früher erkannt werden, und helfen, Ausfallzeiten zu reduzieren. Im Kern geht es um Kosteneinsparung und nachhaltige Materialverwendung, was letztlich auch Umweltschutz und Energieeinsparung dient.
Wie verändert sich durch das Projekt die Interaktion zwischen Mensch und Maschine in der Produktion?
Diese ändert sich nicht grundlegend, es geht hier eher um Optimierung. Bei predictive maintenance und Energiemanagement sind es eher graduelle Verbesserungen, die technisch bisher nicht möglich waren. Eine neue Qualität hat sicher das Thema intrusion detection, das ist auch von Menschen allein gar nicht leistbar, weil permanente Beobachtung der Datenkommunikation nötig wäre. Andererseits ist intrusion detection überhaupt erst durch die Vernetzung der Produktion notwendig geworden.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit Ihrem Projekt!
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier.
Fotos: OTH Amberg-Weiden